Funktionen und Mitgliedschaften
Biografie
Gabriele Jirsa wuchs mit ihren sechs Geschwistern in Schlesien (heute Tschechische Republik) auf. Der Vater war Schuhmacher. Aufgrund der geringen finanziellen Mittel der Familie brach sie die Bürgerschule nach zwei Jahren ab und ging siebzehnjährig nach Wien, um dort zu arbeiten. Erst fand sie Beschäftigung als Dienstmädchen, später als Heimarbeiterin. 1899 heiratete sie den Metallarbeiter Anton Proft und gebar eine Tochter. 1911 lernte sie Paul Richter kennen und ließ sich scheiden. Mit ihrem neuen Lebenspartner blieb sie bis 1934 zusammen.
Proft begann sozialdemokratische Versammlungen zu besuchen, trat dem Bildungsverein Apollo bei und wurde in ihrem Arbeitsumfeld gewerkschaftlich aktiv. Die Probleme der Heimarbeiterinnen waren ihr, aufgrund der eigenen Betroffenheit, ein besonderes Anliegen. 1902 wurde Gabriele Proft Kassierin und Vorstandsmitglied der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen. Das kann als Anfang ihrer politischen Organisierung betrachtet werden.
Proft war neben anderen bekannten Sozialdemokratinnen wie Adelheid Popp, Therese Schlesinger, Anna Boschek oder Amalie Seidel eine Mitbegründerin des Vereines sozialdemokratischer Frauen und Mädchen. 1909 wurde sie zur ersten Sekretärin des 1898 gegründeten Frauenzentralkomitees ernannt und hatte damit eine wichtige politische Funktion inne. Sie blieb dessen Mitglied bis zum Verbot sozialdemokratischer Organisationen durch die austrofaschistische Diktatur 1934. Nach Kriegsende 1945 war Proft erneut eine wichtige Protagonistin des Frauenzentralkomitees und bis 1959 dessen Vorsitzende sowie Redakteurin und Herausgeberin „Der Frau“, der Zeitschrift des Frauenzentralkomitees. Ihr Einfluss sowohl auf Sozialdemokratie, Frauenbewegung als auch die Sozialpolitik Österreichs, war auch aufgrund ihrer überdurchschnittlich langen politischen Tätigkeit groß. Gabriele Proft war eine der wenigen in der Zwischenkriegszeit politisch aktiven Frauen, die auch in der Zweiten Republik noch politische Funktionen übernahmen – und vor allem übernehmen konnten. Profts Themenschwerpunkte waren neben Rechten und Schutz der Arbeiterinnen die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, Antimilitarismus, Familienrechtsreform und die Friedenssicherung
Ab 1909 war sie auch journalistisch tätig und verfasste Artikel für sozialdemokratische, gewerkschaftliche und frauenpolitische Zeitungen und Zeitschriften wie „Der Kampf“ und der sozialdemokratischen „Arbeiterinnen-Zeitung“.
Innerparteilich war Proft zum linken Flügel der SDAPÖ zu rechnen. Sie trat im Ersten Weltkrieg für eine radikale Friedenspolitik ein - im Gegensatz zur Parteilinie. In der Zwischenkriegszeit war sie Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung und von 1919 bis 1934 Nationalrätin. Sie war eine der sieben Sozialdemokratinnen, die 1919 ins Parlament einzogen.
Nach der Machtergreifung von Dollfuss 1934 wurde sie arrestiert. Nach ihrer Freilassung ging sie in den Widerstand und schloss sich den Revolutionären SozialistInnen an. Immer wieder wurde Proft eingesperrt und blieb über Monate in Haft. Als die NationalsozialistInnen in Österreich an die Macht kamen änderte sich daran wenig. 1944 wurde sie ein letztes Mal verhaftet und ins Konzentrationslager Lanzendorf deportiert. Bis zur Befreiung 1945 wurde sie dort gefangen gehalten. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Proft in den Nationalrat zurück. Bis 1953 war sie Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und bis 1959 stellvertretende Parteivorsitzende. Am 6. April 1971 starb Gabriele Proft 92jährig in Bad Ischl. Der Gabriele-Proft-Weg in Wien-Donaustadt erinnert seit 2002 an sie.
verwendete Literatur und Quellen:
Hauch: Vom Frauenstandpunkt aus, 294-298
Lexikoneinträge
biografiA
Proft Gabriele, geb. Gabriela Franziska Jirsa; Schneiderin und Nationalrätin
Geb. Troppau/Österr.-Schlesien (Opava, Tschechien), 20. 2. 1879
Gest. Bad Ischl, OÖ, 6. 4. 1971
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Schuhmacher; G. P. versorgte nach dem frühen Tod der Mutter († 1892) ihre drei Geschwister.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1. 1899 Heirat mit Karl Anton Proft, Metallarbeiter, 1916 Scheidung; Sohn: Karl Johann (* 1899 – † kurz nach der Geburt); Tochter: Hermine (Minna), verh. Tuna, (1900 –1968). 2. Lebensgefährte: Paul Richter (* 1877), Trennung im Dezember 1934.
Ausbildungen: Übungsschule, Volksschule, zwei Klassen Bürgerschule.
Laufbahn: Hilfsarbeiterin in einer Weißwäscherei, später Heimarbeiterin und Dienstmädchen. Seit 1896 Mitglied der SDAP und des Arbeiterbildungsvereins „Apollo“. Seit 1902 Kassierin der Gewerkschaft der Heimarbeiterinnen, 1906 Besuch der Arbeiterschule, eines Redekurses und eines Bürokurses. Ab 1908 Sekretärin des sozialistischen Frauenreichskomitees und damit dritte Berufspolitikerin der Sozialdemokratie. Zentralsekretärin der SDP Frauenorganisation, 1907–32 als Delegierte der Frauenorganisation Wien 16 bei allen Parteitagen, häufige Diskutantin; ab 1910 Mitglied der sozialistischen Fraueninternationale, seit 1911 Mitglied des Parteivorstandes; Unterricht in den sozialdemokratischen Frauen-Schulen, wo Frauen das für politische Funktionen nötige Wissen vermittelt werden sollte; Obmann-Stellvertreterin in dem im März 1916 von Friedrich Adler reaktivierten Verein der Parteischüler „Karl Marx“, 1918 Gemeinderatsmitglied von Wien, 1919 –1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung SDP, 1920 –1934 Abgeordnete zum Nationalrat. Nach den Februarkämpfen 1934 mehrere Monate inhaftiert. Illegale Tätigkeit im Rahmen der Revolutionären Sozialisten. G. P. wurde am 15. 8. 1944 im Zuge einer Verhaftungsaktion gegen polizeibekannte politische Gegner festgenommen und am 15. 9. 1944 wieder aus der Haft entlassen. Im Jänner 1945 wurde sie neuerlich verhaftet und in der Folge in das Arbeitserziehungslager Oberlanzendorf (NÖ) überstellt. Ab 1945 Mitglied des Frauenzentralkomitees, Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung, 1945–1953 Abgeordnete zum Nationalrat, Mitglied des Parteivorstands der SPÖ, 1945–1959 Stellvertretende Parteivorsitzende der SPÖ, Vorsitzende des Frauenzentralkomitees der SPÖ bis 1959. Im 1. Weltkrieg zählte G. P. zu den entschiedensten Kriegsgegnerinnen in der österreichischen Sozialdemokratie. Beantragte 1925 als Nationalratsabgeordnete das Gesetz zur Regelung des Hebammenwesens. Setzte sich für die rechtliche Gleichstellung von Lebensgefährtinnen ein und lieferte Grundlagen für Reformvorschläge des Familien- und Eherechts. 1949 maßgeblich an der Bildung der Familienpolitischen Kommission beim Parteivorstand der SPÖ beteiligt. 1951 einzige Rednerin im NR, die das Absurde des Familienrechts, in dem der „Mann als Haupt der Familie“ (§ 91) festgeschrieben wurde, darlegte. Weitere Schwerpunkte ihres Wirkens waren die Erhaltung des Friedens und die Abschaffung der Todesstrafe. Nach ihrem Abgang aus der Öffentlichkeit war G. P. auch in den Folgejahren im Parteileben präsent und wurde zur Kritikerin des sich ändernden Selbstverständnisses der SPÖ.
Ausz.: 1949 als erste Frau „Bürgerin der Stadt Wien“; 1955 Ehrenvorsitzende des Internationalen Rats Sozialdemokratischer Frauen, ab 1959 Ehrenvorsitzende des Frauenzentralkomitees. Verkehrsflächenbenennung: 2002 Gabriele-Proft-Weg in 1220 Wien.
W.: „Ein Beitrag zu unserer Jubiläumsfeier. In: Popp, Adelheid (Hg.): Gedenkbuch. 20 Jahre österreichische Arbeiterinnenbewegung“ (1912), „Die Frau als Volksvertreterin. In: Leichter, Käthe (Hg.): Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“ (1930), „Zurück ins Haus. In: Frauentag 1925“, „Der Weg zu uns. Die Frauenfrage im Neuen Österreich. Hg. von der Sozialistischen Partei Österreichs“ (1945), „Adelheid Popp. In: Leser, Norbert (Hg.): Werk und Widerhall. Große Gestalten des österreichischen Sozialismus“ (1964). Publikationen in der Parteipresse, Broschüren.
Köhler-Lutterbeck, Siedentopf: Lexikon der 1000 Frauen
Proft, Gabriele
Politikerin
20.2.1879 (Troppau - heute Opava/Tschechien) - 6.4.1941 [sic! richtig: 1971] (Bad Ischl)
P. stammte aus einfachen Verhältnissen und kam als Dienstmädchen nach Wien. 1896 trat sie der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der Gewerkschaft bei. 1919 wurde sie Gemeinderätin in Wien und Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, und seit 1920 war sie Nationalratsabgeordnete, bis sie 1934 verhaftet wurde. Nach ihrer Freilassung schloss sich P. den Revolutionären Sozialisten an. 1944 wurde sie von den Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Lanzendorf deportiert und bis Kriegsende festgehalten. 1945-53 saß sie wieder als Abgeordnete im Nationalrat und war stellvertretende Vorsitzende der SPÖ.
Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft
Proft, Gabriele, Nationalrätin, ist eine der Vorkämpferinnen der sozialdemokratischen Frauenbewegung in Österreich. In der Sozialpolitik der beiden letzten Jahrzehnte gibt es kaum eine die weibliche Arbeiterschaft betreffende Reform, an der sie nicht tätigen Anteil genommen hätte, und die Sympathien, die ihr in allen Kreisen der Partei entgegengebracht werden, kamen anläßlich ihres 50. Geburtstages zum beredten Ausdruck. - G. P. wurde am 20. Februar 1879 in Troppau geboren. Sie besuchte die Handelsschule und wurde Privatbeamtin. Im Jahre 1909 begann sie ihre politische Laufbahn als Sekretärin des Österreichischen Frauen-Reichskomitees und entfaltete als Versammlungsrednerin, Journalistin und auf gewerkschaftlichem Gebiete eine intensive Tätigkeit. Nach dem Umsturze gehörte sie zu den ersten fünf Frauen, die von der österreichischen sozialdemokratischen Partei in den provisorischen Gemeinderat entsendet wurden und bald darauf wurde sie in dem aus dem IX., XVIII. und XIX. Gemeindebezirk gebildeten Wahlkreis in den Nationalrat gewählt, dem sie seither angehört. - Wohnung: VIII., Pfeilg. 32.