Funktionen und Mitgliedschaften
Biografie
Ihre Jugendjahre, vom 11. bis zum 18. Lebensjahr, verbringt Olga Misař in England. Nach Wien zurückgekehrt, setzt sie gegen den Willen ihres bürgerlichen Elternhauses ihre Studien fort und verdient sich durch Englischunterricht Geld. Olga Misař ist verheiratet und hat zwei Töchter, die 1900 geboren werden. Von 1911 bis 1915 besuchen diese das Realgymnasium von Eugenie Schwarzwald in Wien.
Olga Misař ist eine Akteurin des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung und Pazifistin. Sie engagiert sich im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein (AÖFV), wo sie sich schon früh mit sexualpolitischen Themen auseinandersetzt, und im Frauenstimmrechtskomitee. Sie gehört zu den österreichischen Delegierten bei der Haager Frauenfriedenskonferenz während des Ersten Weltkriegs1915. Innerhalb des AÖFV entsteht noch im Kriege 1917 trotz Zensur und Versammlungsverbot eine Sektion Friedenspartei, die Mitglieder wirbt für den Gedanken eines sofortigen Friedensschlusses. Olga Misař ist Mitbegründerin dieser Sektion, wodurch sie mit der Polizei und den Gerichten in Berührung kommt.
In der Ersten Republik ist sie vermehrt über die nationalen Grenzen hinausgehend aktiv, unter anderem im Rahmen der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und im Bund der Kriegsdienstverweigerer. 1919 kandidiert sie bei den Nationalratswahlen erfolglos für die Demokratische Mittelstandspartei. Ab 1921 arbeitet Olga Misař mit Yella Hertzka im Vorstand des österreichischen Zweigs der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit und gleichzeitig auch für die internationale Dachorganisation Women’s League for Peace and Freedom. Ab 1923 ist sie Sekretärin des Bundes der Kriegsdienstverweigerer.
Ihr 1919 erschienenes Werk "Neuen Liebesidealen entgegen" stellt die vorhandene Geschlechterordnung in Frage und bezieht eine durchaus radikale Stellung zu sexualethischen Fragen. Misař ist damit eine der wenigen Exponentinnen der Frauenbewegung, die sich mit Liebe, Ehe und Sexualität auseinandersetzt. Sie publiziert unter anderem in der von Pierre Ramus herausgegebenen zweiwöchig erscheinenden anarchistischen Zeitschrift „Erkenntnis und Befreiung“ sowie in der internationalen Frauen- und Friedensbewegungspresse, unter anderem gemeinsam mit der Friedensaktivistin Martha Steinitz und der Frauenrechtlerin Helene Stöcker über Kriegsdienstverweigerer in Deutschland und Österreich. Sie veröffentlicht in zahlreichen Zeitschriften Artikel zu Themen wie Mutterschutz, Klerikalismus oder Frauenwahlrecht. Eine Zeitlang ist sie verantwortliche Redakteurin für das Vereinsorgan des Österreichischen Bundes für Mutterschutz.
1939 emigriert Olga Misař mit ihrer Familie nach Großbritannien, wo sie auch 1950 verstirbt. In ihren späteren Lebensjahren im Exil und während des Nationalsozialismus dürfte sie ihre frühere pazifistische Haltung in Frage gestellt haben.
verwendete Literatur und Quellen:
Das Frauenstimmrecht, 11
Rath: Olga Misař. - In: Ariadne (2010) 57, 44-47
Steinitz: Olga Misař zum Gedächtnis. - In: Die Friedens-Warte 50 (1950/51), 367-369
Lexikoneinträge
biografiA
Misař Olga, auch Misar, geb. Popper; Friedens- und Frauenrechtsaktivistin, Anarchistin, Journalistin, Übersetzerin und Schriftstellerin
Geb. Wien, 11. 12. 1876
Gest. London, Großbritannien, 8. 10. 1950
LebenspartnerInnen, Kinder: Seit 1899 mit Wladimir (auch Vladimir) Misař (geb. 24. 2. 1872 in Neuhaus, Böhmen, gest. 1963 in Wien), Physik- und Mathematikprofessor, ab 1919 Sekretär der Großloge Wien und Redakteur der Wiener Freimaurerzeitung, verheiratet. 1900 gebiert sie die Töchter Vera (auch Wera) und Olga (Wien, 6. 3. 1900 – London, 1952). Von 1911 bis 1939 lässt sich der Wohnsitz des Ehepaares in der Starhemberggasse 47 im 4. Wiener Gemeindebezirk nachweisen.
Laufbahn: Wuchs in Wien und England auf. Ab 1910 im Vorstand des Frauenvereins „Diskutierklub“ tätig. Von 1911 bis 1912 verantwortliche Redakteurin des Vereinsorgans „Mitteilungen des Österreichischen Bundes für Mutterschutz“. Danach im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein aktiv, nimmt am Internationalen Frauen-Kongreß in Den Haag (28.–30. April 1915), als eine der österreichischen Vertreterinnen teil. 1919 erscheint ihr utopischer Entwurf „Neuen Liebesidealen entgegen“ und sie kandidiert erfolglos für die „Demokratische Mittelstandspartei“ von Ernst Viktor Zenker bei den Nationalratswahlen im Februar. In den folgenden Jahren schreibt sie häufig in der zweiwöchig erscheinenden Zeitschrift „Erkenntnis und Befreiung“, die von dem Anarchisten und Antimilitaristen Pierre Ramus (Pseud. für Rudolf Großmann) herausgegeben wird, sowie in der internationalen Frauen- und Friedenbewegungspresse. Seit 1921 ist sie gemeinsam mit Yella Hertzka im Vorstand des österreichischen Zweiges der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ in der politischen Gruppe aktiv, arbeitet gleichzeitig auch für die internationale Dachorganisation „Women’s League for Peace and Freedom“. Ab 1923 ist sie Sekretärin des „Bundes für Kriegsdienstgegner“, baut diese NGO in Österreich auf, publiziert gemeinsam mit Martha Steinitz und Helene Stöcker über die Geschichte der Kriegsdienstverweigerer in Deutschland und Österreich und organisiert die 2. „Internationale Konferenz der Kriegsdienstgegner“ von 27. 7. – 31. 7. 1928 auf dem Sonntagsberg (Niederösterreich). Sie beteiligt sich an der Organisation von großen Antikriegskundgebungen in der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Im Namen des „Komitees für innere Abrüstung“ ist sie als Netzwerkerin tätig und lädt Gandhi im Oktober 1931 nach Wien ein, der dieser Einladung jedoch nicht folgt. 1936 wird der Bund der Kriegsdienstgegner aufgelöst, am 13. 4. 1939 müssen O. M. und ihr Ehemann Vladimir/Wladimir nach Enfield bei London emigrieren. O. M.s Hauptbedeutung liegt in ihren transnationalen frauen- und friedenspolitischen Aktivitäten.
W.: „Neuen Liebesidealen entgegen“ (1919, Wiederauflage 1921 und 1947 mit dem Titel „Neue Liebesideale“), „Kriegsdienstverweigerer in Deutschland und Oesterreich, von Martha Steinitz, Olga Misar und Helene Stöcker“ (1923), „Die Aufgabe der Frauen. In: Gewaltlosigkeit. Handbuch des aktiven Pazifismus. Im Auftrag der ‚Internationale der Kriegsdienstgegner‘. Hrsg. von Franz Kobler“ (1928). Übersetzung: „ John W. Graham: Friedenshelden im Weltkrieg. Die Geschichte des Kampfes gegen die allgemeine Wehrpflicht in England von 1916 –1919“ (1926)
Brigitte Rath
Österreichisches biographisches Lexikon
Misař Olga, geb. Popper, Politikerin, Journalistin und Schriftstellerin. Geb. Wien, 11. 12. 1876; gest. London (GB), 8. 10. 1950; mos., ab 1899 evang. AB. Verehelicht mit Vladimír Misař (geb. Neuhaus, Böhmen / Jindřichův Hradec, CZ, 24. 2. 1872; gest. Wien, 25. 7. 1963), Freimaurer und Großsekretär der Großloge von Österreich. – M. wuchs in Wien und England auf. Ab 1910 im Vorstand des Frauenvereins Diskutierklub tätig, war sie 1911–12 verantwortliche Redakteurin des Vereinsorgans „Mitteilungen des Österreichischen Bundes für Mutterschutz“. Danach engagierte sie sich im Allgemeinen Österreichischen Frauenverein und nahm am Internationalen Frauen-Kongress in Den Haag im April 1915 als eine der österreichischen Vertreterinnen teil. 1919 erschien ihr utopischer Entwurf „Neuen Liebesidealen entgegen“ (Neuaufl. 1947 unter dem Titel „Neue Liebesideale“). Im selben Jahr kandidierte sie bei den Nationalratswahlen erfolglos für die Demokratische Mittelstandspartei von Ernst Viktor Zenker. In der Folge publizierte sie häufig in der von →Pierre Ramus herausgegebenen zweiwöchig erscheinenden Zeitschrift „Erkenntnis und Befreiung“ sowie in der internationalen Frauen- und Friedensbewegungspresse. Ab 1921 gemeinsam mit →J(Y)ella Hertzka im Vorstand des österreichischen Zweigs der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit in der politischen Gruppe aktiv, arbeitete M. gleichzeitig für die internationale Dachorganisation Women’s League for Peace and Freedom. Ab 1923 war sie Sekretärin des Bundes für Kriegsdienstgegner und publizierte gemeinsam mit der Friedensaktivistin Martha Steinitz und der Frauenrechtlerin Helene Stöcker über „Kriegsdienstverweigerer in Deutschland und Oesterreich“ (1923). M., die schon in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre an der Durchführung von großen Antikriegskundgebungen beteiligt war, organisierte die 2. Internationale Konferenz der Kriegsdienstgegner im Juli 1928 auf dem Sonntagberg in Niederösterreich. 1936 wurde der Bund der Kriegsdienstgegner aufgelöst, im April 1939 mussten M. und ihr Ehemann ins Exil nach England gehen. M.s Hauptbedeutung liegt in ihren transnationalen frauen- und friedenspolitischen Aktivitäten.