Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer

Namen und Abkürzungen
Frauenreferat der Arbeiterkammer
Frauenreferat der Kammer
Frauenrefert der Wiener Arbeiterkammer
Gründung
1925
Auflösung
1934
Sitz
Wien, Ebendorferstraße 7

FunktionärInnen und Mitglieder

Leiterin

Mitarbeiterin

Sekretärin

  • Denk, Henriette

Historischer Überblick

Die Arbeiterkammer für Wien und Niederösterreich wurde 1920 als Interessensvertretung der ArbeiterInnenschaft eröffnet. Ihren Sitz hatte sie ab 1921 in der Ebendorferstraße 7 im ersten Wiener Gemeindebezirk. 1925 wurde Käthe Leichter beauftragt, ein Referat für Frauenarbeit aufzubauen. Sie war eine der wenigen sozialdemokratischen Wissenschaftlerinnen, die in der ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung verankert waren. Mit Fragen der Frauenarbeit oder der Frauenpolitik hatte sich Käthe Leichter bis dahin kaum beschäftigt. Sie wurde zunächst Konsulentin an der Wiener Arbeiterkammer und dann – so Lichtenberger – 1927 oder 1928 als Abteilungsleiterin angestellt. Neben Käthe Leichter waren Henriette Denk als langjährige Sekretärin sowie die Juristin und Sozialarbeiterin Elisabeth Schilder, die bei Erhebungen, Auswertungen der statistischen Daten und deren Publikationen mitarbeitete, im Frauenreferat tätig.

„Fragen der Frauenarbeit waren bis dahin an keiner Stelle zusammenhängend bearbeitet worden“, schreibt Leichter im „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“ im Kapitel über das „Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer“. Daher sah Leichter die erste Aufgabe des neugegründeten Frauenreferats darin, empirische und statistische Informationen über das Leben arbeitender Frauen – ausgehend von Berichten der Krankenkassen, Gewerkschaften und Fabrikinspektoren – zu sammeln und zu dokumentieren.

Darüber hinaus führte das Frauenreferat eigene Erhebungen durch und gab eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen heraus. Die Ergebnisse dieser sozialwissenschaftlichen Studien waren wegweisend. Die erste Veröffentlichung „Wie leben die Wiener Hausgehilfinnen“ erfolgte 1926 und machte auf die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen der Hausgehilfinnen aufmerksam – so z.B. dass zwei Drittel der Hausgehilfinnen länger als die gesetzlich zulässige Arbeitszeit von 13 Stunden täglich tätig waren. 1927 folgte der Bericht "Frauenarbeit und Arbeiterinnenschutz in Österreich". In der 1928 erschienenen Publikation „Wie leben die Wiener Heimarbeiter?“ standen Arbeits-, Wohn- und Lebensverhältnisse von HeimarbeiterInnen im Mittelpunkt. Die Untersuchung ergab, dass mehr als 50% der HeimarbeiterInnen täglich länger als 11 Stunden arbeiteten und dass 95% der ‚Heimarbeiter‘ Frauen, oft Mütter, waren.

Im Mai 1930 gab das Frauenreferat einen von Käthe Leichter redigierten umfassenden Sammelband, das „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“, heraus. Darin kommen nicht nur Arbeiterinnen, sondern auch Expertinnen aus den unterschiedlichsten Bereichen, Gewerkschafterinnen und führende Sozialdemokratinnen zu Wort. Aus Anlass des neunten Kongresses des International Council of Women vom 26. Mai bis 7. Juni in Wien erschienen gleichzeitig das „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“ und „Frauenbewegung, Frauenbildung und Frauenarbeit in Österreich“, herausgegeben vom Bund Österreichischer Frauenvereine, dem damaligen Dachverband der bürgerlich-liberalen Frauenbewegung. Die Titelgebungen der beiden Sammelbände zeigen die Prioritäten der jeweiligen Frauenpolitiken aus sozialdemokratischer und bürgerlich-liberaler Sicht auf.

1932 erschien die Studie „So leben wir ... 1.320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben“. Das Referat für Frauenarbeit hatte dafür mehrere tausend Fragebögen an Arbeiterinnen verschiedener Industriezweige verschickt. Es wollte untersuchen, warum die Erwerbsarbeit von Frauen, die im Laufe der 1920er-Jahre zugenommen hatte, von den Auswirkungen der Wirtschaftskrise überproportional betroffen war.

Ziel all dieser Erhebungen war, Arbeitsbedingungen und gesetzliche Regelungen für Arbeiterinnen zu verbessern. Dafür waren die Studien eine Grundlage – als Unterbau für angestrebte Gesetzesänderungen. Gefordert wurde u.a. die Einbeziehung der HeimarbeiterInnen in die Sozialversicherung, die Ausdehnung des Mutterschutzes auf die Heimarbeiterinnen, die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit, die Schaffung eines einheitlichen Dienstrechts für Lehrerinnen und den Schutz vor gesundheitsgefährdender Arbeit.

Zentral war hierbei die Zusammenarbeit mit der seit den 1890er-Jahren in den Gewerkschaften aktiven Anna Boschek, die ab 1928 auch die Leitung der neugegründeten Frauensektion der Freien Gewerkschaften übernahm, sowie mit der Gewerkschafterin Wilhelmine Moik. „Das Frauenreferat der Kammer [steht] im Dienst der gewerkschaftlichen Frauensektion“, so Leichter im „Handbuch der Frauenarbeit in Österreich“. Mit der Gewerkschaft sollten die erarbeiteten wissenschaftlichen Grundlagen in praktische Arbeit und Politik umgesetzt werden. 
Um den Gewerkschafterinnen regelmäßig Informationen zukommen zu lassen, gab das Frauenreferat von Anfang an monatlich ein Mitteilungsblatt heraus, das den Funktionärinnen zugestellt wurde. 1927 gingen diese Monatsberichte in eine Frauenbeilage in "Arbeit und Wirtschaft", dem gemeinsamen Zentralorgan der Arbeiterkammer und der Freien Gewerkschaften, über. Zu Beginn leitete Käthe Leichter die Beilage allein, ab 1929 gemeinsam mit Wilhelmine Moik. Gemeinsam nutzten Boschek und Leichter auch neue Medien wie das Radio, um eine möglichst breite Öffentlichkeit – vor allem neue Hörerinnen – zu erreichen. Ab 1929 wurde eine halbstündige "Radiostunde für arbeitende Frauen" gesendet, die bis 1933 regelmäßig ausgestrahlt wurde.
Leichters Ziel war es nicht nur, das Leben der berufstätigen Frauen zu dokumentieren, sondern ihrer Stimme einen Raum zu verschaffen und sie zu befähigen, für ihre Interessen einzutreten.

1934 wurden die Arbeiterkammern mit der Errichtung des autoritären „Ständestaates“ völlig entmachtet und existierten de facto nur noch auf dem Papier weiter. Wie viele ihrer MitstreiterInnen verlor auch Käthe Leichter ihre Position. Die Arbeit des Frauenreferats wurde eingestellt.

verwendete Literatur und Quellen:

Die Arbeiterkammern in Österreich 1921-1926, 114

Göhring: Politik und Aktion. In  Käthe Leichter : Gewerkschaftliche Frauenpolitik, 103-194

Käthe Leichter : Leben, Werk und Sterben einer österreichischen Sozialdemokratin

Leichter: Das Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer - In: Handbuch der Frauenarbeit in Österreich, 542-556

Lichtenberger: Der Arbeit von Frauen Beachtung und Respekt Verschaffen – Käthe Leichter (1895-1942) und die Gründung des Referates für Frauenarbeit in der Wiener Arbeiterkammer vor 95 Jahren. In: Das Recht der Arbeit 70 (2020), Nr. 391, 588-594
 

verfasst von: Lydia Jammernegg

Ausgewählte Publikationen

Frauenarbeit : (Beilage zu: Arbeit und Wirtschaft) / Hrsg. Referat für Frauenarbeit / Österreichischer Arbeiterkammertag und Österreichischer Gewerkschaftsbund. Red. Käthe Leichter - Wien: Verl. des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, 1927-1934
Online Zugriff / ÖNB 606270-C.Neu-Per
Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer: Das Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer - In: Handbuch der Frauenarbeit in Österreich - Wien: Kammer für Arbeiter und Angestellte, 1930, 542-556
Online Zugriff / ÖNB 579225-C.Neu
Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer: Frauenarbeit und Arbeiterinnenschutz in Österreich / Kammer für Arbeiter und Angestellte in Wien - Wien: Arbeit und Wirtschaft, 1927
Online Zugriff / ÖNB 777145-B.Neu
Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer: So leben wir ... : 1320 Industriearbeiterinnen berichten über ihr Leben ; eine Erhebung - Wien: Arbeit und Wirtschaft, 1932
Online Zugriff / ÖNB 637485-B.Neu
Referat für Frauenarbeit der Wiener Arbeiterkammer: Wie leben die Wiener Heimarbeiter? : eine Erhebung über die Arbeits- und Lebensverhältnisse von 1000 Wiener Heimarbeitern - Wien: Verl. "Arbeit und Wirtschaft", 1928
Online Zugriff / ÖNB 571241-B.Neu

Quellen und Sekundärliteratur

Lichtenberger, Sabine: Der Arbeit von Frauen Beachtung und Respekt verschaffen : Käthe Leichter (1895-1942) und die Gründung des Referates für Frauenarbeit in der Wiener Arbeiterkammer vor 95 Jahren - In: Das Recht der Arbeit, Jg. 70 (2020), Nr. 6; 391, 588-594
Online Zugriff / ÖNB 792907-C.Sonderausg.Neu-Per