Biografie
Frauen sind seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der tschechischen Nationalbewegung immer wieder prominent vertreten. Oft Schriftstellerinnen, wie Božena Němcová. Sie war die früheste Vertreterin dieser bis heute bekannten tschechischen Autorinnen in der Nationalbewegung.
Geburtsdatum sowie Herkunft von Božena Němcová sind unklar. Sie wird am 5. Februar 1820 in Wien auf den Namen Barbara getauft und wächst bei Wäscherin und Kutscher der Herzogin von Sagan auf. Sie erhält eine gute Bildung. Diese könnte ein Indiz sein , dass sie die uneheliche Tochter der jüngeren Schwester der Herzogin Katharina Wilhelmine von Sagan ist.
Von ihrer Mutter gedrängt heiratet sie im Alter von 17 Jahren den Finanzbeamten und tschechischen Nationalisten Josef Nemeč; sie bekommen fünf Kinder. Die Ehe ist geprägt von den ständigen Versetzungen ihres Mannes wegen dessen „demokratischer Gesinnung“ und bedrückenden finanziellen Verhältnissen. Němcová hat verschiedene außereheliche Beziehungen und verarbeitet diese in ihren Schriften. Große Bewunderung hegt sie für die Freiheit und Unabhängigkeit von George Sand, deren Portrait in Němcovás Arbeitszimmer hängt.
In Prag kommt sie in Kontakt mit der tschechischen Intelligenz und mit führenden Mitgliedern der tschechischen Nationalbewegung. Sie beginnt zu schreiben - vor allem Märchen und Gedichte - und nimmt den tschechischen Vornamen Božena an. Ihr erster veröffentlichter Text ist 1843 das nationalistische Gedicht „An die tschechischen Frauen (Ženám Českým)“.
Nach der Revolution von 1848 kommt es aufgrund der nationalistischen Aktivitäten des Paares zu weiteren Strafversetzungen ihres Mannes. Němcová bleibt mit den Kindern in Prag. Als er schließlich pensioniert wird, lebt die Familie nur noch von dem mageren Einkommen Nemcovás, die schließlich 1862 schwer erkrankt und stirbt.
Božena Němcovás Begräbnis wird zu einer nationalen Demonstration. Ihr 1855 erschienenes Buch „Babicka (Großmutter)“ ist bis heute ein zentrales Werk der tschechischen Nationalliteratur. Es unterliegt immer wieder ideologischen Zurechtbiegungen: aus nationalistischer Perspektive während der deutschen Besetzung im 2. Weltkrieg, danach aus kommunistischer Perspektive, oder aus männlicher Perspektive, indem Němcovás Sprache korrigiert wird.
Die Vorbildwirkung Němcovás erleichtert der nachfolgenden Generation an Frauen die Einbindung in die Nationalbewegung. Dazu zählen etwa Eliška Krásnohorská und Karolina Svetla, die ebenso schriftstellerisch tätig sind. Diese sind jedoch im Gegensatz zu Němcová nicht nur Nationalistinnen sondern ebenso Gründerinnen von frauenrechtlichen Organisationen. In einer Zeit vor Entstehung der Frauenbewegung kann Němcová eine Rolle als Webgbereiterin hin zu einer Frauenemanzipation – in ihrem Fall als Schriftstellerin und Teil einer nationalen Befreiungsbewegung – zugeschrieben werden.
verwendete Literatur und Quellen:
biografiA
Iggers: Frauenleben in Prag
Roth: Božena Němcová. - In: Prager Frauen, 11-34
Lexikoneinträge
Österreichisches biographisches Lexikon
Nemcová Bozena, geb. Pankel Barbara, Schriftstellerin. * Wien, 4. 2. 1820; + Prag, 21. 1. 1862. Tochter eines aus Gainfarn in NÖ stammenden Kutscheres der Fürstin v. Sagan; verlebte ihre Kindheit in Ratiboritz b. Nachod in Ostböhmen und heiratete bereits 1837 J. Nemec, einen um 15 Jahre älteren Finanzbeamten, der sich auch als Schriftsteller versuchte, aber die Ideale seiner Frau nie zu verstehen vermochte. Obwohl er ein ausgezeichneter Beamter war, wurde er, wegen seiner tschech. patriot. Gesinnung polit. verdächtig, ständig versetzt. So lebte die Familie, in der in kurzer Zeit vier Kinder zur Welt kamen, 1837 in Kosteletz b. Nachod, 1838 in Josefstadt, 1839 in Leitomischl, 1840 in Polin, 1842 in Prag. Hier kam N. in Kontakt mit Vertretern der tschech. Intelligenz, bes. mit Künstlern. Unter dem Einfluß tschech. Lektüre begann sie Gedichte zu schreiben. 1845 lebte die Familie in Taus, 1847 in Vserub, wo N. mit einfachen Leuten verkehrte, deren Charakter und Gewohnheiten sie stud., Volksmärchen sammelte und für Prager Z. ethnograph. belletrist. Beitrr. verfaßte. Das Jahr 1848 verbrachte das Ehepaar N. mit eifriger polit. Tätigkeit, weshalb auch die Frau von da an bis zu ihrem Lebensende unter Polizeiaufsicht blieb. 1857 wurde ihr Mann endgültig mit geringer Pension i. R. versetzt. Auf den Reisen zu ihm lernte N. die Slowakei, Ungarn und Kärnten kennen, knüpfte freundschaftliche Verbindungen zu den slowak. Schriftstellern und Patrioten an - der Aufenthalt in Ungarn wurde ihr zuletzt untersagt -, sammelte Sagen und Volkslieder und fand dort den Stoff zu mehreren ihrer Erzählungen. Die Familienverhältnisse und die finanzielle Lage wurden immer schwieriger. Ende 1861 lebte N. kurze Zeit (zuletzt ganz ohne Mittel) in Leitomischl, wo sie ihre gesamten Schriften red. wollte, mußte jedoch schwer krank nach Prag zurückkehren, wo sie starb. Trotz ihres schweren Schicksals behielt N. immer den Glauben an die menschliche Güte, half denen, die noch mehr zu leiden hatten als sie, setzte sich für die Bildung des Volkes und vor allem der Frauen ein, interessierte sich für die Lösung der sozialen Fragen (für sie wurde die erste tschech. Schrift über den utop. Sozialismus und Kommunismus von M. Klácel geschrieben) sowie für die polit. Verhältnisse. Gegen Ende ihres Lebens knüpfte sie Verbindungen mit der jüngsten, radikalen Dichtergeneration an. In ihren Märchen betonte sie die Idee der Gerechtigkeit, der Güte und der Liebe; in den Erz. zeigte sie rechtliche, gute Menschen und die Realität des einfachen Lebens. Das Bild der harmon. Persönlichkeit, welches sie in "Babicka" (Die Großmutter) versinnbildlichte, nahm die tschech. Kultur als ideale Darstellung der Volkstradition und des tschech. Charakters an.
biografiA
Němcová Božena, geb. Barbara (Betty) Novotná, Pankl (Panklowá); Schriftstellerin
Geb. Wien, 4. 2. 1820
Gest. Prag, Böhmen (Praha, Tschechien), 21. 1. 1862
Herkunft, Verwandtschaften: Vater: Johann Pankl (* 1794), Kutscher der Fürstin v. Sagan. Mutter: Terezie Novotná (1797–1863), herrschaftliche Wäscherin. 12 Geschwister, von denen nur die Hälfte überlebte. Die später verbreiteten Vermutungen, nach denen nicht Johann Pankl, sondern ein adliger Herr der Vater von B. N. gewesen sei, konnten nie bewiesen werden. Von den verschiedenen Varianten scheint die plausibelste, nach der Dorothea von Biron ihre Mutter und Fürst Karl Clam-Martinic ihr Vater gewesen sei. Die beiden sollen sich am Wiener Kongress getroffen und eine Affäre gehabt haben. Dorothea brachte das Kind, das aus dieser Verbindung entstand, bei ihrer Schwester Katharina Wilhelmine von Sagan zur Welt, welches möglicherweise durch deren Vermittlung von Johann Pankl und Theresie Novotná als Tochter Barbara angenommen und anerkannt worden war.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1837 auf Drängen der Mutter Heirat mit Josef Nemec (1805–1879), Finanzbeamter und tschechischer Patriot. Vier Kinder: Hynek (1838 –1853); Karel (1839 –1901), Gärtner und später Direktor der Landespomologieanstalt in Troja, starb 1901. Theodora (* 1841), Lehrerin; Jaroslav (1842–1898), Gymnasialprofessor.
Ausbildungen: B. N. erhielt mit Unterstützung der Herzogin Katharina Wilhelmine von Sagan, auf deren Schloss Náchod die Eltern beschäftigt waren, eine gute Bildung. Sie wurde von einem Hauslehrer unterrichtet und besuchte später die Schule, lernte Klavierspielen und sprach ein einwandfreies Deutsch. Laufbahn: B. N.s Ehe war geprägt von den ständigen Versetzungen ihres Mannes wegen dessen „demokratischer Gesinnung“ und bedrückenden finanziellen Verhältnissen. 1842 wurde B. N.s Mann nach Prag versetzt, wo sie in Kontakt mit Vertretern der tschechischen Intelligenz und mit führenden Mitgliedern der tschechischen Nationalbewegung kam. Unter ihrem Einfluss begann sie zu schreiben und nahm den tschechischen Vornamen Božena an. 1843 erschien ihr erster veröffentlichter Text in der Zeitschrift „Blüten“: das patriotische Gedicht „An die tschechischen Frauen“. Ab 1845 publizierte sie zahlreiche Erzählungen und verschiedene Folgen von Märchen und Sagen. Ihr berühmtestes Werk ist „Babička“ (Großmutter), das 1855 erschien und Eindrücke aus B. N.s Kindheit in Böhmen unter der prägenden Obhut ihrer Großmutter beschreibt. Dieses Werk gehört heute zur wichtigsten tschechischen Nationalliteratur. Das Jahr 1848 verbrachte das Ehepaar N. mit eifriger politischer Tätigkeit. Wegen seiner Aktivitäten in der gescheiterten Revolution des Jahres 1848 wurde Josef Němec in die Slowakei versetzt. B. N. verblieb mit den Kindern in Prag, besuchte ihren Mann jedoch mehrmals für längere Zeiträume. Auf den Reisen zu ihm lernte B. N. die Slowakei, Ungarn und Kärnten kennen, schloss Freundschaft mit slowakischen Schriftstellern und Patrioten. Zu ihrem Werk gehören auch einige Bücher, die slowakische Themen zum Inhalt haben. B. N.s Lebensverhältnisse wurden immer schwieriger. Sie starb verarmt und verlassen nach schwerer Krankheit 1862 und wurde unter großer Anteilnahme auf dem Prager Ehrenfriedhof Vyšehrad beigesetzt. B. N. hatte sich stets für die Bildung des Volkes und der Frauen eingesetzt und interessierte sich für die Lösung der sozialen Fragen. Als Frau hatte sie sich um ein eigenständiges Leben bemüht, ein Versuch sich den begrenzenden Konventionen ihres Jahrhunderts zu entziehen und ein Ausdruck dafür, dass sie ihrer Zeit weit voraus war. W. u. a.: „Národni báchorky a povesti. (Volksmärchen und Sagen). 7 Bde.“ (1845 – 46), „Die schwarze Prinzessin (O cerne princezne). Ein Märchen in Ost und West.“, „Babicka. (Die Großmutter)“ (1855 bis 1970 über 200 Ausgaben. Übersetzungen in 26 Sprachen, auf Deutsch in 23 Ausgaben erschienen), „Pohorská vesnice. (Das Gebirgsdorf)“ (1856), „Slovenské pohádky a povesti. (Slowakische Märchen und Sagen). 10 Bde.“ (1857–58), „Gesammelte Schriften. 8 Bde. hg. v. A. Augusta“ (1862– 63), „14 Bde. hg. v. M. Gebauerová, J. Vlcek und V. Tille“ (1904 –20), „14 Bde. hg. v. M. Novotny“ (1928 –30), „15 Bde. red. v. B. Havránek“ (1950–61), „Ausgewählte Schriften. 3 Bde. hg. v. F. Vodicka“ (1962–63), „3 Bde. hg. v. M. Pohorsky“ (1974), „Auswahl der Korrespondenz: Ocima lásky. (Mit den Augen der Liebe), hg. v. R. Havel“ (1969), „Durch diese Nacht sehe ich keinen einzigen Stern. Drei Brief-Entwürfe“ (1997), „Ostern im alten Böhmen. In: Das alte Prag. Gedichte, Geschichten und historische Reiseberichte aus der altehrwürdigen Altstadt an der Moldau“ (2007). Gedichte: „Slavné ráno (Der glorreiche Morgen)“ (1846)