Funktionen und Mitgliedschaften
Biografie
Am 4. Juli 1872 wurde Eugenie Nussbaum als Tochter jüdischer Eltern in Galizien geboren. In Czernowitz und Wien besuchte sie die Schule und ging dann nach Zürich, wo Frauen bereits seit 1863 zum Studium zugelassen waren. Nach Abschluss ihres Studiums der Literatur und Philosophie im Jahr 1900 heiratete sie Hermann Schwarzwald, einen Finanzbeamten, und zog mit ihm nach Wien.
In Wien hielt sie anfangs Vorträge über Kunst und Literatur, unter anderem im Volksheim Ottakring. Bekannt wurde Eugenie Schwarzwald durch die Leitung der so genannten Schwarzwaldschule(n) und der von ihr entwickelten und dort praktizierten Reformpädagogik. 1901 übernahm sie ein Mädchenlyzeum in der Wiener Innenstadt von Eleonore Jeiteles und baute es in den folgenden Jahren zu einem Schulzentrum mit koedukativer Volksschule, Gymnasium und allgemeinen Fortbildungskursen aus. Hier begann sie ihre pädagogischen und sozialreformerischen Ideen umzusetzen. Sie eröffnete damit neue Möglichkeiten für Frauen: zum Beispiel schuf sie 1911 die erste Schule Österreichs, an der Frauen maturieren konnten und ebnete so den Weg für die Zulassung von Frauen an den Universitäten. Ihre pädagogischen und sozialen Grundideen waren Gewaltfreiheit und Kreativitätsförderung. Dafür suchte sie Lehrende aus den verschiedensten politischen Kontexten und mit unterschiedlichen Ideen zu gewinnen.
Auch war Schwarzwald über ihre Bildungstätigkeit hinaus eine bekannte Persönlichkeit: ihr Salon war ein wichtiger kultureller Treffpunkt, in dem KünstlerInnen wie Musil, Loos oder Schönberg ein und aus gingen. Sie unterstützte und förderte viele KünstlerInnen und ihre Werke. Feministische Frauenzirkel hingegen lehnte sie ab, war auch in keinem Frauenverein engagiert, wiewohl sie mit Frauen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins wie auch des Bundes Österreichischer Frauenvereine gelegentlich zusammenarbeitete. Auch beteiligte sie sich an der Rechtsakademie für Frauen. Diese wurde 1917 als Antwort auf den fortdauernden Ausschluss von Frauen vom rechtswissenschaftlichen Studium gegründet. Weiters publizierte sie rege; unter anderem in der „Neuen Freien Presse“, „Der Morgen“ und dem „Neuen Wiener Tagblatt“ erschienen ihre Artikel rund um die Themen Schulpolitik, (Haus)Arbeit sowie Mädchen- und Frauenbildung.
Schwarzwalds politische Aktivitäten sind nicht auf ihre pädagogischen Projekte zu beschränken. Im Ersten Weltkrieg organisierte und gründete sie Gemeinschaftsküchen, Alters- und Erholungsheime, um der sich ausbreitenden Massenarmut etwas entgegenzusetzen. Karl Kraus warf ihr vor, damit den Krieg indirekt zu unterstützen. Sie gründete 1916 den Verein zur Errichtung und Erhaltung von Gemeinschaftsküchen. Durch ihren großen Bekanntenheitsgrad konnte sie hohe Summen an Spenden für diese Projekte auftreiben. Gleichzeitig besaß sie kleine kommerzielle Betriebe, die die finanzielle Grundlage für ihre Wohlfahrtsprojekte sicherten. Die Errichtung von Gemeinschaftsküchen und Erholungsheimen setzte Schwarzwald auch nach Kriegsende fort. 1922 kam es zur Gründung eines Schwarzwaldschen Wohlfahrtswerks, welches die diversen sozialen Tätigkeiten koordinieren sollte.
Als die NationalsozialistInnen 1938 in Österreich an die Macht kamen, befand Eugenie Schwarzwald sich gerade in Dänemark auf einer Vortragsreise. Sie kehrte nicht mehr nach Wien zurück, ihr Eigentum wurde arisiert, ihre Papiere vernichtet und die Schwarzwaldschulen geschlossen. Sie starb 1940 an Krebs in der Emigration in der Schweiz.
Der Gemeinderatsausschuss für Kultur und Wissenschaft hat in seiner Sitzung am 7. November 2011 beschlossen, eine Verkehrsfläche in 1220 Wien, Fußweg zwischen der Anton-Sattler-Gasse und der Meißnergasse, mit "Eugenie-Schwarzwald-Weg" zu benennen.
verwendete Literatur und Quellen:
Embacher: Außenseiterinnen. – In: L’homme 2 (1991) 2, 57-76
Holmes: Langeweile ist Gift
Lexikoneinträge
biografiA
Schwarzwald Eugenie (Genia), geb. Nussbaum; Pädagogin und Schulgründerin
Geb. Polupanowka, Galizien (Ukraine), 4. 7. 1872
Gest. Zürich, Schweiz, 7. 8. 1940
Herkunft, Verwandtschaften: Stammt aus einer großbürgerlichen jüdischen, assimilierten Familie. Einzige Tochter von Ester und Leo Nußbaum; verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Czernowitz.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1900 Heirat mit Dr. Hermann Schwarzwald (1871–1939), Jurist, Sektionschef im Finanzministerium, trat auch als Dichter hervor.
Ausbildungen: Höhere Mädchenlehranstalt, drei Jahre Lehrerinnenbildungsanstalt; 1895 Beginn des Studiums der Germanistik, Literatur, Englisch, Philosophie und Pädagogik an der Zürcher Universität, 1900 Promotion zum Dr.phil. mit der Dissertation „Metapher und Gleichnis bei Berthold von Regensburg“ an der Universität Zürich. Der Titel wurde in Österreich nicht anerkannt.
Laufbahn: Gab während des Studiums Nachhilfeunterricht und übersetzte für die Zeitschrift „Aus fremden Zungen“ ukrainische Texte ins Deutsche. Kam nach dem Studium nach Wien, 15. Jan. 1901 erster Vortrag im Wiener Frauen Club, erste Vortragstätigkeit im Rahmen der Volkshochschulen, vor allem im Verein Volksheim in Wien-Ottakring; 1901 übernimmt E. Sch. von Eleonore Jeiteles das Mädchen-Lyzeum am Franziskanerplatz 5 in Wien 1. Umwandlung in eine reformpädagogisch ausgerichtete Schulanstalt, die zunächst am Kohlmarkt und schließlich in der Wallnerstraße situiert war. 1906/07 Erwirkung eines Abschlusses mit öffentlich anerkannter Matura; Die Schulanstalt umfasste im Laufe der Jahre eine Koedukationsvorschule (1903), ein Realgymnasium (1909), das erste achtklassige Reform-Realgymnasium
für Mädchen mit Reifeprüfung (1911/12), humanistische Gymnasialkurse, eine höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe und wissenschaftliche Fortbildungskurse sowie eine Rechtsakademie für Frauen. 1903 Errichtung eines alkoholfreien Speisehauses im Volksheim Ottakring. 1912 Beendigung der eigenen Unterrichtstätigkeit und Beschränkung auf die Leitung der Schulen. 1915 Einrichtung eines Erholungsheimes für Kinder und Erwachsene in St. Wolfgang, Beginn der Aktion „Wiener Kinder aufs Land“. 1917 Eröffnung der ersten Gemeinschaftsküche („Akazienhof“) auf genossenschaftlicher Basis in Wien, ab 1923 auch in Berlin. Ab 1918 gründete sie eine Reihe von Erholungsheimen, in der Südsteiermark, am Semmering, in Reichenau, am Grundlsee und in der Helmstreitmühle bei Mödling. 1922 Gründung des Schwarzwaldschen Wohlfahrtswerks, von dem die verschiedenen Aktivitäten verwaltet wurden; 1923 ermöglichte die „Österreichische Freundeshilfe“ die Einrichtung von vier Gemeinschaftsküchen in Berlin, Versendung Berliner Kinder nach Österreich. E. Sch. leitete auch einige kommerzielle Betriebe, mittels derer sie ihre reformerischen Projekte finanziell fördern konnte, so eine Gemüsefarm und eine Taxigesellschaft. Im März 1938 tritt E. S. eine Vortragsreise nach Dänemark an, erfährt von ihrer Brustkrebserkrankung, kehrt nicht mehr nach Wien zurück, sondern bleibt in Zürich. Die Schulen und Projekte E. Sch.s wurden 1938 von den Nationalsozialisten aufgelöst und ihr Vermögen wurde liquidiert. Ein Großteil der ErzieherInnen wurde vertrieben oder ermordet. E. S. gilt in der Geschichte des österreichischen Bildungswesens als Pionierin der Reformpädagogik: Ihre pädagogischen Verdienste sind sowohl auf dem Gebiet der Schulorganisation (Schulausschuss, dem Eltern und Kinder angehören) als auch der Bildungskonzeptionen (keine Prügelstrafe, Koedukation in der Volksschule, erstklassige intellektuelle Bildung für Mädchen, Betonung der künstlerischen Bildung) außerordentlich bedeutsam. Sie wirkte bestimmend auf die Modernisierung der höheren Mädchenbildung. Ihr Schulreformwerk war geprägt von modernen Lehrmethoden und außergewöhnlichen Lehrerpersönlichkeiten und entstand im Austausch mit den bedeutendsten PädagogInnen ihrer Zeit, wie etwa Maria Montessori.
Lexikon der Frau
Schwarzwald, Eugénie, österr. Schulreformerin, *Polupanowka (Ukraine) 4.7.1878, +Zürich 6.8.1940. Stud. Lit., Dr. phil., Gründerin u. langjährige Leiterin der Wiener Schwarzwaldschulen, in denen sie ihre neuen Ideen einer Mädchenausbildung verwirklichte. sie schuf auch Gemeinschaftsküchen, Ferien- u. Altersheime, Lehrmädchen- u. Kindererholungsheimstätten u.a.
Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft
Schwarzwald, Dr. Eugenie, studierte in Zürich, gründete 1901 die ihren Namen führenden Schulanstalten (I., Wallnerstraße 9), organisierte im Krieg Gemeinschaftsküchen, Alters-, Erholungs- Lehrmädchenheime, Versendung von Kindern aufs Land und ins neutrale Ausland, und gründete in der Inflationszeit die "Österreichische Freundeshilfe für Deutschland", welche mehrere Gemeinschaftsküchen in Berlin und Erholungsheime auf dem Lande eröffnete. Auch schriftstellerisch ist sie in Tagesblättern und Revuen tätig. - Sie ist verheiratet mit Sektionschef a. D. Dr. Hermann Sch. - Wohnung: VIII., Josefstädter Straße 68. - Tel. A-27-0-17.
Czeike: Historisches Lexikon Wien
Schwarzwald Eugenie (Genia), geb. Nußbaum, * 4.7.1872 Polupanowka b. Tarnopol, Galiz., + 7.8.1940 Zürich, Germanistin (Dr. phil.), Pädagogin, Schulreformerin, Pionierin der Mädchenbildung, G. (1900) Hermann Sch. Maturierte in Czernowitz, stud. 1895-1900 Phil. u. Lit. an der Univ. Zürich (an österr. Univ.en waren Frauen zum Stud. noch nicht zugelassen) u. ließ sich 1900 in W. nieder. 1901 übernahm sie von Eleonore Jeiteles des Mädchenlyzeum 1, Franziskanerpl. 5, erweiterte dieses allmähl. zu einem Schulzentrum (Volksschule, Gymnasial- u. allg. Fortbildungskurse) u. führte ab 1911 ein achtklass. Mädchenrealgymn. (ab 1913: 1, Herreng. 10, Wallnerstr. 9); es war dies die 1. Schule in Österr., an der Mädchen maturieren konnten. Da ihr 1904 die Unterrichtsbefugnis entzogen worden war, mußte sie bis 1938 die Dion. offiziell anderen überlassen. Die Grundideen der Pädagogik Sch.s waren Gewaltfreiheit u. Kreativitätsförderung (insbes. Förderung von Mädchen u. jungen Frauen); mit Maria Montessori stand Sch. in Kontakt. Sie konnte an ihr Mädchengymn. namhafte Persönlichkeiten als Lehrer verpflichten: Oskar Kokoschka für zeichnen, Adolf Loos für Architektur, Arnold Schönberg u. Egon Wellesz für Musik, Hans Kelsen für Soziologie (angebl. auch für Volkswirtschaftslehre) u. Otto Rommel für Literatur (letzterer war 1916-19 auch Dir. der Sch.schen Mädchenmittelschulen). Sch.s Wohnung (8, Josefstädter Str. 68) war Treffpunkt namhafter Talente, die später zu bekannten Künstlerinnen aufstiegen, sowie von Persönlichkeiten des Kulturlebens (bspw. Canetti, Loos, Musil u. Schönberg), in ihren Sommerkolonien trafen sich u.a. Popper, Wassermann u. Zuckmayer. Auf dem Dachgarten der Schule (die Loos eingerichtet hatte) fand bei Schönwetter der Turnunterricht statt. Während des 1. Weltkriegs richtete Sch. Gemeinschaftsküchen (bspw. Akazienhof,9, Thurng. 4), Tagesheime, Land- u. Ferienheime für Kinder u. Erwachsene ein. 1938 kehrte sie von einer Vortragsreise in Dänemark nicht mehr nach W. zurück, sondern emigrierte in die Schweiz; die Natsoz. verkauften ihren ges. Besitz, die Schule wurde gesperrt, die meisten Schüler emigrierten bzw. wurden verschleppt.