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Österreichisches biographisches Lexikon
Scherer Sophie von, geb. Sockl, Schriftstellerin. * Wien, 5.2.1817; + Graz, 29.5.1876. (...) Tochter eines Tischlermeisters und Erfinders; wandte sich nach Jugendjahren als Malerin der Schriftstellerei zu und schrieb 1848 ein dreibändiges Bildungs- und Erziehungswerk für Frauen als Novum in Form eines unterhaltsamen Briefromans. Einerseits gab es Frauen der höheren und mittleren Stände prakt. Anweisungen für die Kindererziehung, andererseits legte es die spezif. Aufgaben der Frau, deren Bestimmung S. vorrangig als Gattin und Mutter sah, dar. Obwohl sie die Revolution von 1848 ablehnte, setzte sich S. für gewisse soziale Reformen, vor allem für die Dienstboten, ein, so für eine Altersversicherung. Ihre Gedanken zu kirchlichen Reformen, z. B. hinsichtlich der Aufhebung des Zölibats, erschienen ebenfalls 1848 in einem Schreiben an die Bischofskonferenz in Würzburg. Während die Kirche dieses unbeachtet ließ, wurde ihre darin enthaltene Kritik an den freireligiösen Dt. Katholiken von ihrem Bruder, Th. Sockl, in einem offenen Brief angegriffen. S.s Erwiderung - ihre letzte Publ. - war eine Verteidigung ihres röm.-kath. Glaubens.
biografiA
Scherer Sophie von, geb. Sockl; Schriftstellerin
Geb. Wien, 5. 2. 1817
Gest. Graz, Stmk., 29. 5. 1876
Herkunft, Verwandtschaften: Mutter: Frau Schürer von Waldheim; Vater: Gottlieb Sockl, ein verarmter Tischlermeister, „Erfinder und Mechanikus“. Bruder: Theodor Sockl, Maler. Durch ihre Herkunft begründet sich vermutlich ihre Ablehnung des „gränzenlosen Hochmuth(s) und Adelsstolz“ der Aristokratie. („Erfahrungen aus dem Frauenleben“, I:88). Trotzdem schreibt sie auch, dass sie stolz sei, zum Stand der „Edelgeborenen“ gezählt zu werden.
LebenspartnerInnen, Kinder: 1841 Heirat mit Anton Ritter von Scherer. 5 Kinder, darunter Rudolf v. Scherer (1845–1918), Kirchenrechtsprofessor.
Ausbildungen: S. v. Sch. behauptete, von Jugend an berufstätig und „bürgerlich fleißig“ („Erfahrungen aus dem Frauenleben“, III:304) gewesen zu sein, führte die Art ihrer Tätigkeit jedoch nicht genauer aus.
Laufbahn: Als Zwanzigjährige stellte sie in der Akademie der Bildenden Künste drei Bilder aus, ein Portrait und zwei Tierstudien und versuchte sich – ohne Erfolg – als Dichterin und Schriftstellerin. Nach ihrer Heirat 1841 zog sie mit ihrem Mann nach Graz. Der erhoffte Ruf ihres Mannes auf einen Universitätslehrstuhl nach Innsbruck blieb aus. Als „Conzipisten“-Gattin gehörte sie zwar dem höheren Beamtenstand, nicht jedoch wie ihre Familie dem „besitzenden Stand“ an. Diese autobiografischen Splitter finden sich in „Frauenleben“ wieder. 1848 schrieb sie das dreibändige Bildungs- und Erziehungswerk für Frauen als Novum in Form eines unterhaltsamen Briefromans. Ziel war es, den Frauen der besseren Stände praktische Anweisungen für die Kindererziehung zu geben, aber auch den Platz der Frau in der Familie und Gesellschaft vor allem als Gattin und Mutter darzulegen. Die drei Bände können als „Chronologie einer Disziplinierung“ gelesen werden, als Bestandsaufnahme von realen und möglich scheinenden Widerständigkeiten gegen das gleichzeitig propagierte Frauenideal. Obwohl sie die Revolution von 1848 ablehnte, setzte sie sich für gewisse soziale Reformen, vor allem für Dienstboten, ein, so für eine Altersversicherung. Ihre Ideen bezüglich der Einführung einer staatlichen Sozialversicherung und Familienförderung waren ihrer Zeit weit voraus. Ihre Gedanken zu kirchlichen Reformen, z. B. hinsichtlich der Aufhebung des Zölibats, erschienen ebenfalls 1848 in einem Schreiben an die Bischofskonferenz in Würzburg und riefen einen öffentlichen Geschwisterstreit hervor. Während die Kirche dieses Schreiben unbeachtet ließ, wurde ihre darin enthaltene Kritik an den freireligiösen Deutschen Katholiken von ihrem Bruder in einem offenen Brief angegriffen. S. v. Sch.s Erwiderung – ihre letzte Publikation – war eine Verteidigung ihres römisch-katholischen Glaubens.
Ausz.: Nach dem Thronwechsel von Kaiser Ferdinand zu Franz Joseph bemühte sich S. v. Sch. um die Aufnahme ihrer Arbeit in die kaiserliche Privatbibliothek, was am 26. Jänner 1849 bewilligt wurde und sie zur Trägerin der „Goldenen k. k. Civil-Verdienst-Medaille“ machte.
W.: „Bildungs- und Erziehungs-Werk. Erfahrungen aus dem Frauenleben zum Selbststudium für Frauen, Mütter, Töchter. 3 Bände“ (1848), „Offenes Sendschreiben an den Congress der hochwürdigen Erzbischöfe und Bischöfe zu Würzburg“ (1848), „Erwiderung auf den an mich gerichteten offenen Brief meines Bruders“ (1848)