Biografie
Lise Meitner wurde als Elise Meitner am 17. November 1878 in Wien geboren. Bei der Eintragung in das Geburtenbuch wurde jedoch die Zahl „1“ vergessen, und so der 7. November zu ihrem amtlichen Geburtstag. Als drittes von insgesamt 8 Kindern wuchs sie in einer bürgerlichen, liberalen Familie auf, in der Bildung einen hohen Stellenwert hatte. Obwohl jüdischer Abstammung, haben die Eltern – Hedwig, geb. Skorvan, und Philipp Meitner, Rechtsanwalt – ihre Kinder protestantisch erzogen, Lise Meitner selbst konvertierte 1908 zum evangelischen Glauben.
Parallel zur Externisten-Matura am Akademischen Gymnasium in Wien (zu diesem Zeitpunkt die einzige Möglichkeit für Frauen) absolvierte Lise Meitner das Lehrerinnenexamen für das Fach Französisch. Letzteres nur um ihre Eltern zu beruhigen: ihre Leidenschaft galt schon früh der Physik. Als eine der ersten Frauen studierte sie bei Ludwig Boltzmann Physik und Mathematik an der Universität Wien, wo sie 1906 als zweite Frau in Physik promovierte, mit Auszeichnung. Eine gut dotierte Stelle in der Gasglühlichtfabrik von Carl Auer lehnte sie ab und wechselte 1907 nach Berlin, um bei Max Planck ihre Studien zu vertiefen. Dieser akzeptierte sie als dezidierter Gegner des Frauenstudiums erst nach einem Vorgespräch und ausnahmsweise als Gasthörerin – Frauen werden in Deutschland erst 1908 zum Studium zugelassen. Mit ihrer Grundlagenforschung zur Kernphysik erlangte sie rasch internationales Ansehen. 1922 habilierte sie sich als erste Frau in der Physik, 1926 wurde sie als erste Frau in Deutschland zur nichtbeamteten außerordentlichen Professorin für Physik ernannt. Die Lehrbefugnis wurde ihr aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1933 entzogen, mit Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Lise Meitner 1938 nach Schweden fliehen, wo sie am Nobel-Institut für Physik in Stockholm eine Stelle fand.
Die gemeinsam begonnenen Versuche zur Radioaktivität, die in langjähriger wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Chemiker Otto Hahn entstanden, führte Hahn in Berlin alleine fort, und im Dezember 1938 gelang der chemische Nachweis der Kernspaltung. Hahn informierte Lise Meitner umgehend brieflich über diese Entdeckung und bat sie um eine physikalische Erklärung – die diese prompt Anfang 1939 aus dem schwedischen Exil gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch lieferte. Für die Entdeckung der Kernspaltung erhielt Hahn 1944 den Nobelpreis für Chemie (Verleihung kriegsbedingt erst 1946) – und zwar allein, auch wenn diese ohne den Beitrag von Meitner nicht denkbar gewesen wäre. Ein Nobelpreis blieb Lise Meitner trotz zahlloser Auszeichnungen für ihre großen Leistungen verwehrt.
Nach ihrer Pensionierung übersiedelte Meitner Anfang der 1960er Jahre nach England, wo sie 1968 in Cambridge starb.
Über den Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki war Lise Meitner entsetzt: spätestens seit ihrem Einsatz als Röntgenologin im Frontspital in Lemberg im Ersten Weltkrieg war sie überzeugte und glühende Pazifistin, und setzte sich für eine friedliche Nutzung der Kernenergie ein. Als „Mutter der Atombombe“ wurde sie verunglimpft, obwohl sie die Aufforderung zur Beteiligung an deren geheimer Entwicklung 1943 abgelehnt hatte.
Die Kernphysikerin Lise Meitner war nicht aktiv in der Frauenbewegung, als Pionierin des Frauenstudiums und durch ihre großen wissenschaftlichen Errungenschaften und Leistungen jedoch Wegbereiterin und bleibt weiterhin leuchtendes Vorbild.
verwendete Literatur und Quellen:
Lexikon der 1000 Frauen
Sexl: "Der Boden auf dem ich stehe" - In: Die zerrissene Gesellschaft, 280-305
Waniek: Meitner, Lise - In: Wissenschafterinnen in und aus Österreich, 509-513
Lexikoneinträge
Köhler-Lutterbeck, Siedentopf: Lexikon der 1000 Frauen
Meitner, Lise (eigtl. Elise)
Physikerin
7.11.1878 (Wien) - 27.10.1968 (Cambridge/Großbritannien)
Die Tochter eines wohlhabenden jüdischen Rechtsanwalts wurde protestantisch erzogen. Nach dem Examen als Französischlehrerin bereitete sie sich zusätzlich in Privatkursen auf das Abitur vor, das sie 1901 als Externe bestand. Im selben Jahr begann M. an der Universität Wien mit dem Studium der Mathematik und Physik und wurde 1906 promoviert. Bereits während ihres Studiums interessierte sie sich, angeregt von ihrem Lehrer L. Boltzmann, für die Atomlehre. Nach ersten Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Radioaktivität wechselte sie 1907 nach Berlin, um bei M. Planck weiterzustudieren. Im Labor des Instituts für Experimentalphysik arbeitete sie mit dem Chemiker O. Hahn zusammen, mit dem sie auch gemeinsam Untersuchungsergebnisse veröffentlichte. 1912 wurde sie Plancks Assistentin und ab 1913 zusätzlich wissenschaftliches Mitglied des neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete sie ab 1915 als Röntgenschwester, kehrte aber auf Drängen Hahns 1917 an das Institut zurück. 1922 hielt sie ihre Antrittsvorlesung und wurde 1923 außerordentliche Professorin - ihre Ernennungsurkunde erhielt sie allerdings erst 1926. 1933 wurde der Jüdin die Lehrbefugnis entzogen, dennoch arbeitete sie bis 1938 weiter am Kaiser-Wilhelm Institut, dann floh sie über Holland nach Schweden. In Stockholm war sie zunächst am Nobel-Institut tätig, bis ihr 1947 eine Forschungsprofessur an der Technischen Hochschule bewilligt wurde. Ihren Lebensabend verbrachte sie von 1960 an bei ihrem Neffen O. R. Frisch in England. M.s Hauptforschungsgebiete waren die Kernphysik und die Radioaktivität. Während ihrer über 30-jährigen Arbeit mit hahn entdeckte sie u.a. das Element Protaktinium sowie mehrere radioaktive Isotope. Angeregt durch ihre Arbeiten, entwickelten Hahn und F. Strassmann 1938 das Kernspaltungsverfahren, für das M. mit ihrem Neffen die theoretische Erklärung verfasste. 1946 wurde Hahn allein der Nobelpreis für Chemie verliehen, obwohl M. wesentlich an der Entdeckung der Kernspaltung beteiligt war. M. erhielt u.a. 1949 die Goldene Max-Planck-Medaille und 1966 den Enrico-Fermi-Preis.